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Die vier autochthonen nationalen Minderheiten in Deutschland – wer sie sind und was sie bewegt

Fragt man Ilse Johanna Christiansen nach dem Rezept zum Überleben ihrer kleinen, oft übersehenen Minderheit, dann hat sie eine kurze, knappe Antwort: „Tohuupe“, auf deutsch: zusammen. „Das Zusammen ist ganz wichtig, sonst schafft man es nicht“, sagt die Nordfriesin, Vorsitzende des Frasche Rädj/Friesenrat Sektion Nord. Als Minderheit ohne Mutterstaat und mit vergleichsweise schlechter Finanzierung laste der Erhalt des friesischen Erbes auf den Schultern einer jeden Friesin, eines jeden Friesen, auf jeder kleinen Insel, in jedem kleinen Dorf. „Denn wie ein alter Spruch sagt: ,Wer klein ist, muss laut rufen, um gehört zu werden.‘"

Die Fries*innen zählen wie die Dän*innen, die Sorb*innen sowie die deutschen Sinti und Roma zu den autochthonen nationalen Minderheiten und Volksgruppen in Deutschland, um die es im Panel „Meine Sprache, meine Identität“ am zweiten Tag des FUEN-Kongresses in Berlin ging. Wie funktioniert Minderheitenschutz in Deutschland? Welche Strukturen, Errungenschaften und Herausforderungen gibt es? Diese Fragestellungen wurden diskutiert. 

Das gemeinsame Sprachrohr der in Deutschland lebenden Minderheiten ist der Minderheitenrat, welcher mindestens zweimal jährlich tagt und ihre Interessen gegenüber der deutschen Bundespolitik vertritt. Wie Jens A. Christiansen (Sydslesvigsk Forening) erläuterte, fungiert der Minderheitenrat als Lobbyorganisation, die in engem Kontakt zur Bundesregierung und dem deutschen Bundestag agiert. Großes Ziel sei es, den Minderheitenschutz im deutschen Grundgesetz zu verankern.

„Wir haben Erfolge erzielt, die ich nie für vorstellbar hielt“, sagte Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. „Aber was wir in der politischen Arbeit erreicht haben, haben wir in der gesellschaftlichen noch nicht. Sinti und Roma stoßen noch oft auf Ablehnung, das ist tief verwurzelt.“ Aus diesem Grund würden viele Angehörige seiner Minderheit mit ihrer Identität nicht nach außen treten, sie bei Wohnungs- oder Jobsuche verbergen. Viel Hoffnung setzt er vor diesem Hintergrund auf den in diesem Jahr berufenen Antiziganismus-Beauftragten der Bundesregierung.

 

Im Panel wurde auch deutlich, wie unterschiedlich es den Minderheiten möglich ist, ihre Sprache zu nutzen und Bildung in ihrer Muttersprache zu erfahren. Während die dänische Minderheit im nördlichen Landesteil Schleswig-Holsteins „von der Wiege bis ins Grab“ ein dänisches Leben führen könne, wie es Gitte Hougaard-Werner, Vorsitzende des Sydslesvigsk Forening, beschrieb, hapert es bei den Nordfries*innen sogar an einzelnen muttersprachlichen Schulstunden. Wie auch bei der sorbischen Minderheit in der Lausitz liegt hier die große Herausforderung im Lehrermangel.

Über eine wichtige Errungenschaft im Digitalen konnten sich die Sorb*innen zuletzt freuen: Microsoft hat das Obersorbische als Sprache in sein Übersetzungstool „Bing“ aufgenommen. „Kommen Minderheiten und kleine Sprachen nicht digital vor, werden sie nicht als gleichwertig verstanden – deshalb war das für uns nach Jahren harter Arbeit ein toller Erfolg“, berichtete Dawid Statnik, Vorsitzender der Domowina (Bund Lausitzer Sorben).

Schließlich ging es auch um die Frage: Wie nationalbewusst darf man als Minderheit sein, ohne nationalistisch zu wirken? „Wir sind ein Teil der Bevölkerung, in der wir leben, aber wir sind auch anders und müssen unsere Kultur ausleben“, so Gitte Hougaard-Werner. Die Strecke von Integration zur Assimilation sei kurz. „Man muss keine Grenzen haben, aber sich trotzdem abgrenzen.“ Stolz auf seine eigene Nationalität und Identität auszuleben mache einen nicht nationalistisch – sondern nationalbewusst.

Die Mehrheitsgesellschaft über Minderheiten und Regionalsprachen zu informieren und sensibilisieren, das sei eine wichtige Aufgabe, an der alle arbeiten müssten. Ob im persönlichen Gespräch oder zum Beispiel mit einer Wanderausstellung, wie sie der Minderheitenrat jüngst in Deutschland ins Leben gerufen hat. Denn Sichtbarkeit ist das A und O.

Die Arbeitsgemeinschaft deutscher Minderheiten (AGDM), die Arbeitsgemeinschaft slawischer Minderheiten (AGSM), die türkische Arbeitsgemeinschaft (TAG), die Arbeitsgemeinschaft Bildung, die Arbeitsgemeinschaft Non-Kin-State (NKS) der FUEN sowie das Europäische Dialogforum (EDF) hielten am Freitag auf dem Kongress ihre Sitzungen ab. Am Nachmittag besichtigten die Teilnehmer*innen die Reichstagskuppel, trafen mit Bundestagsabgeordneten zusammen und besuchten die Gedenkstätte für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas.

Einblicke in die Berliner Politik: Natalie Pawlik, Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, erläuterte den Kongress-Teilnehmer*innen ihre Arbeit. 

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