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Von Dialogen, Konflikten und Kriegen – Minderheiten im Spannungsfeld

Es war wahrlich kein leichter Stoff, der gleich zu Beginn des FUEN-Kongresses diskutiert wurde: „Überlebenskraft und Hoffnung – Minderheitengemeinschaften in regionalen, nationalen und internationalen Konfikten“ lautete das Thema eines sehr intensiven Podiums mit einer Vielzahl an Minderheitenvertreter*innen, das unter die Haut ging. Moderiert wurde es von FUEN-Präsident Loránt Vincze. 

Zunächst fiel der Blick auf die Instrumentalisierung von Minderheiten und die Erhaltung ihrer Sprachen. Ein Thema, das seit Anfang des Jahres in Polen sehr aktuell ist, wo der deutschen Minderheit – und nur dieser – der Sprachunterricht von drei Wochenstunden auf eine gekürzt wurde. Die polnische Regierung benutzt dies als Druckmittel, um ihrer Forderung nach mehr muttersprachlichem Unterricht für polnische Schüler*innen in Deutschland Gewicht zu verleihen. „Wir versuchen zu verstehen, was nicht zu verstehen ist“, kommentierte Rafal Bartek vom Verband der Deutschen Sozial-Kulturellen Gesellschaften in Polen die Entwicklung. „Leider ist kein vernünftiger Dialog mit der polnischen Regierung möglich und kein Wille erkennbar, das Problem zu lösen.“ Bartek nannte die Lage tragisch und bedrohlich und erwartet politischen Druck auch auf EU-Ebene. „Hier geht es nicht nur um Bildungspolitik, sondern um Menschenrechte. Wir können nicht monate- oder jahrelang zusehen, wie unser Nachwuchs sprachlich entwurzelt wird.“

Daneben gab Francois Alfonsi, Mitglied des Europäischen Parlaments, Einblicke in die Situation in seiner Heimat Korsika, Frankreich. „Es war für uns schon immer schwierig, Respekt für unsere Sprache und Kultur durchzusetzen. Es ist ein langer Kampf gegen den Zentralismus in Frankreich“, schilderte er. Doch es regt sich auch Hoffnung. Junge Korser würden ihre Stimmen erheben, demonstrieren, sich bei Wahlen vermehrt hinter ihre korsische Partei stellen; und auch „gute Gespräche“ mit dem französischen Präsidenten Macron habe es jüngst gegeben. Ein guter Dialog sei der Schlüssel. Doch dieser verlange viel Kraft und Ausdauer, und nicht überall gelinge er. „Deshalb brauchen wir europäische Standards für Minderheitenrechte“, betonte Alfonsi. „Wir erleben dort leider eher Rückgang als Fortschritt.“

Loránt Vincze, Francois Alfonsi, Rafal Bartek

Im zweiten Teil der Podiumsdiskussion ging es um vergangene Konflikte und was wir daraus lernen können. Hunor Kelemen, stellvertretender rumänischer Ministerpräsident und Vorsitzender des RMDSZ (Demokratische Allianz der Ungarn in Rumänien), sprach über die blutigen Auseinandersetzungen vom März 1990 in Targu Mures-Marosvásárhely, Rumänien, den sogenannten Schwarzen Marsch. Drei Monate nach dem Sturz des nationalkommunistischen Regimes gingen zehntausende Ungarn auf die Straße, um für die Bildung der Minderheiten und die Rechte der Sprache zu protestieren. Es war eine Zeit des Misstrauens: Die Ungarn hatten Angst vor Assimilierung, die Rumänen befürchteten, dass die Ungarn ihnen Siebenbürgen „wegnehmen“ wollten. In einem Konflikt, der heute als provoziert angesehen wird, brach ein Streit aus, und die Behörden taten wenig bis gar nichts, um zu verhindern, dass er sich zu einem Bürgerkrieg ausweitete. „Gewalt ist nie eine Lösung, sie nützt weder der Mehrheit noch den Minderheiten, denn sie führt zu Zerstörung, Angst und wachsendem Misstrauen. Unsere Gemeinschaft hat gelernt, dass der einzige Weg, für die Rechte von Minderheiten zu kämpfen, über politische Mittel, über den Dialog führt", so Kelemen.

Hunor Kelemen

Der FUEN-Vizepräsident und Vorsitzende der Deutschen Gemeinschaft – Landsmannschaft der Donauschwaben in Kroatien, Vladimir Ham, erzählte eine sehr persönliche Geschichte: Seine Stadt wurde während des Balkankrieges bombardiert, 5000 Menschen wurden verletzt und er wurde als Kind zum Flüchtling. 30 Jahre würden nicht ausreichen, um das Trauma des Krieges zu überwinden, aber heute gäbe es in Kroatien und Slowenien keine Spannungen mehr. Leider gelte dies nicht für andere Staaten auf dem Balkan, und da diese Länder in vielen Fällen ihre Probleme nicht selbst lösen könnten, „wäre eine kontinuierliche Überwachung und Intervention der internationalen Gemeinschaft in diesen Fällen willkommen, wenn wir den Frieden auf dem Balkan erhalten wollen“.

Rasmus Andresen, Vladimir Ham, Dr. Jørgen Kühl (v.li.)

Dr. Jørgen Kühl, Vorsitzender des ECMI, sprach über die friedliche Koexistenz in der deutsch-dänischen Grenzregion, die nach fünfeinhalb Kriegen erreicht wurde. Er nannte die gute Zusammenarbeit der Minderheiten auf beiden Seiten der Grenze als Erfolgsgeschichte, bei der „die Rolle der FUEN nicht unterschätzt werden kann. Die FUEN hat ein Forum für den Dialog geboten, und die beiden ehemals verfeindeten Minderheiten konnten eine gemeinsame Basis und gemeinsame Ziele finden.“

Besorgt über die aktuellen Entwicklungen in Europa, insbesondere über den Krieg in Russland und den wachsenden Extremismus, äußerte sich Rasmus Andresen, Mitglied des Europäischen Parlaments und Angehöriger der dänischen Minderheit in Deutschland. Er sagte, dass es auch für junge Menschen wichtig sei, die Geschichte im Kopf zu haben, um nicht die gleichen Fehler zu wiederholen. In Bezug auf die Grenzregion ist er der Meinung, dass die Situation zwar gut, die Arbeit aber noch nicht abgeschlossen sei und der Alltag zeige, dass es noch viel zu tun gäbe. Er wies darauf hin, dass sich viele junge Menschen in der Politik und im Minderheitenschutz engagieren und ihre Sichtweise gebraucht wird, um die Politik in die richtige Richtung zu drängen.

Das gesamte Panel (v.li.): Loránt Vincze (Moderator), Rovshan Tagiyev, Alexandra Protsenko-Pichagi, Andrea Bocskor, Elvin Kadyrov, Anatolii Fietiesku 

Schließlich wurde es emotional, als Vertreter*innen von Minderheiten aus der Ukraine auf die Bühne kamen und Einblicke in ihre Erlebnisse der Zeit seit dem Ausbruch des Krieges gaben. Nahestehende Menschen, die verwundet wurden oder gar fielen, zerstörte Kulturdenkmäler, viel Leid und Fassungslosigkeit. Vladimir Leysle vom Rat der Deutschen in der Ukraine berichtete von „noch vor Kurzem reichen Menschen, die jetzt obdachlos und arm sind“. Alexandra Protsenko-Pichagi, Vorsitzende der Föderation der Griechischen Gesellschaften in der Ukraine, beschrieb ihr Entsetzen über die Zerstörung der Stadt Mariupol, die im 7. Jahrhundert von den Griechen gegründet wurde, und aus der sie fliehen musste. „Jetzt sind nur noch 20 Prozent der Häuser erhalten und rund 80.000 Menschen. Es ist eine schreckliche Demütigung, die wir erleben – wer hätte das im 21. Jahrhundert für möglich gehalten, dass so viele Kinder sterben müssen“, sagte sie mit tränenerstickter Stimme. „Wenn es die Unterstützung durch die europäische Gemeinschaft nicht gäbe, hätten wir schon aufgegeben.“

Es sei ein Krieg zwischen Freiheit und Diktatur, nicht zwischen Russland und der Ukraine, machte Elvin Kadyrov, Vertreter vom Mejlis des Krimtatarischen Volkes, deutlich. Für ihn habe der Krieg bereits 2014 mit der russischen Annexion der Krim angefangen. „Wir bedanken uns bei der FUEN, die klare Position bezogen und deutlich gemacht hat, dass wir Minderheiten in der Ukraine nicht im Stich gelassen werden“, sagt er.

Nicht direkt in einer vom Krieg betroffenen Region lebt Anatolii Fietiesku vom Kulturellen Verband der Moldawier in der Ukraine, dennoch hört er täglich Sirenen und Raketen und sei in großer Sorge. „Viele Moldawier kämpfen mit in der ukrainischen Armee. Wir müssen unser Recht auf Unabhängigkeit und das Leben verteidigen.“

Für die Ungarn in der Ukraine äußerte sich Andrea Bocskor, Mitglied des Europäischen Parlamentes. Die ungarische Minderheit lebt vor allem in Transkarpatien, das nicht unmittelbar im Kriegsgebiet liegt, dennoch teile sie Schmerz und Sorgen. „Rund 300.000 Geflüchtete hoffen auf eine baldige Rückkehr in ihre Heimat. Wir alle hoffen auf eine diplomatische Lösung, die Frieden sichert“, sagte sie.

Vladimir Leysle und Stephan Müller

Für alle Minderheiten der Ukraine sprach Rovshan Tagiyev (Versammlung der Nationalräte der Ukraine), als er den russischen Angriffskrieg als Genozid bezeichnete und appellierte: „Kein Quadratmeter ukrainischen Bodens darf aufgegeben werden“. Die Ukraine als Vielvölkerstaat benötige weiterhin Unterstützung, nicht nur finanzielle und militärische, sondern auch die Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen – dabei sei die FUEN ein wichtiger Partner, „unsere europäische Familie“.

Schließlich schilderte Stephan Müller vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma die Probleme, mit denen viele Roma, die als Kriegsflüchtlinge in andere Länder kommen, konfrontiert werden, betonte jedoch, dass dies Einzelfälle und keine systematische Diskriminierung sei. „Roma stehen nicht nur auf der Seite der Ukraine, sondern Tausende Roma haben sich freiwillig für die Armee gemeldet oder leisten humanitäre Hilfe.“ Damit sprach er einen Punkt an, der auf alle Minderheiten in der Ukraine zutrifft: Sie alle sehen sich als Teil der Ukraine und stehen solidarisch zusammen im Krieg gegen Russland.

Und so schloss FUEN-Vizepräsident Gösta Toft das Podium mit seinem engagierten Plädoyer: „Wir verurteilen diesen Angriff, der durch nichts zu rechtfertigen ist – erst recht nicht durch den Schutz der Minderheiten, wie von Putin und anderen Polikern hervorgehoben. Unsere Minderheiten sollten dazu nicht missbraucht werden. Lasst uns alle Seite an Seite mit der Ukraine stehen und Hilfe leisten, wo es geht.“

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