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Wie kann man den großen Schatz Europas besser schützen? Wörterbuch-Aktion und Debatte zum Tag der Sprachen

Der lange Tisch war reich gedeckt im Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel – 65 Wörterbücher in Minderheitensprachen lagen dort gestern anlässlich des Europäischen Tags der Sprachen bereit, um im Rahmen einer feierlichen Zeremonie an das Museum übergeben zu werden. Organisiert wurde die Aktion von der Interfraktionellen Arbeitsgruppe für traditionelle Minderheiten, nationale Gemeinschaften und Sprachen des Europäischen Parlaments und der FUEN. Zahlreiche Minderheiten und Sprachgruppen hatten sich nach einem Aufruf mit Wörterbüchern beteiligt und waren zum Teil auch persönlich bei der Übergabe dabei.   

Die Wörterbuch-Zeremonie im Haus der Europäischen Geschichte war gut besucht. Foto: FUEN

„Die sprachliche Vielfalt muss besser verstanden werden und ist ein zentraler Teil des Erbes unseres Kontinents“, sagte Othmar Karas, Erster Vizepräsident des Europäischen Parlaments, in seinem Grußwort. „Der Europäische Tag der Sprachen ist eine hervorragende Gelegenheit, alle Sprachen zu feiern, auch die weniger verbreiteten Sprachen und die Minderheitensprachen.“ Auf die Schlüsselrolle von Wörterbüchern ging FUEN-Präsident Loránt Vincze ein: „Wörterbücher sind Wortbrücken zwischen den Sprachen, sie ermöglichen es, einander zu verstehen, sie sind der Schlüssel zu unserer Kultur, und wenn sie klug eingesetzt werden, tragen sie sicherlich zum Frieden bei."

Laut offiziellen Angaben der EU gibt es neben den 24 Amtssprachen der Europäischen Union, über 60 Regional- oder Minderheitensprachen, deren Sprecherzahl mit 40 Millionen Bürgern beziffert wird. Das bedeutet: Rund sieben Prozent der EU-Bevölkerung sprechen eine Minderheiten- oder Regionalsprache. Gerade diejenigen Gemeinschaften, die eine weniger verbreitete Sprache sprechen und keinen eigenen Staat haben, seien am meisten gefährdet, so Vincze. „Sie brauchen unsere Unterstützung und verdienen mehr Aufmerksamkeit von der Europäischen Union. Dies war einer der Hauptpunkte der Minority SafePack-Initiative, die von einer großen Mehrheit hier im Europäischen Parlament unterstützt wurde. Wir müssen definitiv mehr tun, um unser eigenes Erbe zu schützen.“

Debatte zu Minderheitensprachen in der Brüsseler Vertretung der FUEN. Auf dem Podium (v.li.): Olivia Schubert (Moderation), Francois Alfonsi, Michael Teutsch, Anna Jungner-Nordgren, Fernand de Varennes, Kinga Gál. Foto: Iris Haidau

Im Anschluss an die Wörterbuch-Zeremonie fand im Brüsseler FUEN-Büro eine Podiumsdiskussion zum Thema „Minderheitensprachen als Teil der europäischen sprachlichen und kulturellen Landschaft: Die Rolle von Minderheiten-NGOs bei der Erhaltung der Vielfalt in Europa“ statt. Paul Videsott, Professor an der Freien Universität Bozen und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Volksgruppen in Südtirol, stellte einen Bericht vor, in dem er Nationalitätenstatistiken und Minderheitenschutzmaßnahmen in verschiedenen Ländern verglich. Die Quintessenz: Zwei Drittel der Minderheitengemeinschaften in der EU haben in den letzten vierzig Jahren an Bevölkerung verloren. Von 29 Beispielen für wachsende Minderheiten in der EU haben 22 (76%) eine Standardsprache. Von 17 Minderheiten, die in einer Region in der EU mit einer eigenen Autonomie leben, wachsen 12 (70%). Das zeigt: „Glücklicherweise müssen wir keine völlig neuen Lösungen für den Schutz von Minderheitensprachen finden, denn die besten Praktiken wurden bereits gefunden: Autonomievereinbarungen, schriftlicher Sprachgebrauch und besondere Maßnahmen zur Stärkung der Sprachen – das sind die Schlüsselelemente für den Erhalt der sprachlichen Vielfalt“, so Videsott.

Paul Videsott forscht zum Thema Minderheiten. Photo: Iris Haidau

Dass die Zeit dafür angesichts dramatisch sinkender Sprecherzahlen immer knapper wird, machte Fernand de Varennes deutlich. „Wir müssen endlich aufwachen!“, appellierte der UN-Sonderberichterstatter für Minderheiten und kritisierte, dass viele Regierungen dem Gebrauch von Minderheitensprachen in verschiedenen Bereichen wie z.B. Bildung und öffentliche Verwaltung die Luft nehmen würden.

Eine Ode an den Mehrwert von Sprachenvielfalt stimmte Anna Jungner-Nordgren, stellvertretende Vorsitzende des Netzwerks zur Förderung der Sprachenvielfalt (Network to Promote Lingustic Diversity, NPLD), an. Diesen Mehrwert gelte es zu erkennen und sich immer wieder bewusst zu machen. Doch ohne politische Unterstützung kann die Sprachenvielfalt nicht gewahrt werden. Der Vertreter der Europäischen Kommission, Michael Teutsch, Generaldirektion Bildung, Jugend, Sport und Kultur, erklärte, dass seine Institution die sprachliche Vielfalt durch spezifische Instrumente wie Erasmus+ im Bildungsbereich unterstütze. Doch das reicht dem Ko-Vorsitzenden der Interfraktionellen Arbeitsgruppe Minderheiten, MdEP Francois Alfonsi, nicht aus. „Die Kommission muss eingreifen und die sprachliche Vielfalt in der EU stärker schützen“, forderte er. Seine Kollegin MdEP Kinga Gál wies auf die wichtige Arbeit von Minderheiten-NGOs wie der FUEN hin und äußerte die Hoffnung, dass die Vorschläge des Minority SafePack schließlich in Rechtsvorschriften umgesetzt werden.

Denn heißt das Motto der Europäischen Union nicht „In Vielfalt geeint“?

Teilnehmerinnen und Teilnehmer unserer Veranstaltung zum Europäischen Tag der Sprachen am 26. September 2023 in Brüssel. Foto: Iris Haidau

Titelfoto: European Union 2023/Alain Rolland

Für weitere Bilder der Wörterbuch-Zeremonie, klicken Sie hier.

Für weitere Bilder der FUEN-Podiumsdiskussion in Brüssel, klicken Sie hier

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