Eröffnung des Kongresses: Die Arbeit der FUEN wird in schwierigen Zeiten wie diesen dringend gebraucht
29.09.2022Der Krieg in der Ukraine und die Rückschritte beim Schutz der Minderheitenrechte in Europa waren die großen Themen der Eröffnungsveranstaltung des FUEN-Kongresses 2022, die am Donnerstag, 29. September, in der Vertretung des Landes Brandenburg in Berlin, Deutschland, stattfand.
Dr. Jutta Jahns-Böhm, Staatssekretärin des Landes Brandenburg, begrüßte die Teilnehmer und überbrachte die Grüße von Ministerpräsident Dietmar Woidke, der „die Arbeit der FUEN kennt und schätzt“. Sie lobte den Einsatz der FUEN für die Rechte der Minderheiten, auch der Lausitzer Sorben in Brandenburg, von dem alle profitieren würden. Leider sei die Situation andernorts nicht so gut wie in Brandenburg. In der aktuellen Situation mit Krieg, Klimawandel und Energiekrisen sei es für Minderheiten lebenswichtig, ihre Identität, Kultur und Sprache zu bewahren. „Deshalb ist Ihre Arbeit so wichtig, denn die FUEN kann Brücken zwischen Gemeinschaften, Organisationen, Ländern, Minderheiten und Mehrheiten bauen und tut dies schon seit langem", sagte sie.
Der FUEN-Präsident Loránt Vincze, MdEP, sagte, dass es trotz der ausgezeichneten Atmosphäre in Berlin aufgrund des sinnlosen Krieges, den Russland gegen die Ukraine geführt hat, viele Gründe gebe, pessimistisch zu sein: Tausende von Menschen sind gestorben, Zehntausende wurden verwundet, und Millionen sind aus ihrer Heimat geflohen – darunter auch Angehörige der zahlreichen nationalen Minderheiten der Ukraine, viele von ihnen von FUEN-Mitgliedsorganisationen. Er fügte hinzu, dass das Ende des Krieges leider nicht absehbar sei und dass „wir außer Gesten der Solidarität und Hilfe nur sehr wenig tun können“.
„Aber wir müssen auch sagen: Nach dem Ende des Krieges muss die Regelung der Beziehungen zu den Minderheitengruppen ein Hauptziel für die Ukraine werden. In dieser Hinsicht gibt es bereits positive Entwicklungen, denn die ukrainische Führung hat sich bereits zu diesem Ziel verpflichtet. Ich kann mir kein internationales Abkommen vorstellen, das die Rechte der Minderheiten, einschließlich des muttersprachlichen Unterrichts und des Gebrauchs der Sprache, nicht sichert", sagte er. Auch habe sich die Lage von Minderheiten anderswo nicht verbessert. „Minderheiten brauchen keine Gefälligkeiten, sondern Chancen: Anerkennung, gesetzliche Rahmenbedingungen, muttersprachlichen Unterricht, eigene Bildungseinrichtungen und kulturelle Institutionen. (...) Es wäre gut, in Gesellschaften zu leben, in denen Minderheitengemeinschaften gleichberechtigte Partner der Mehrheit sind, in denen die Minderheitensprache den gleichen Respekt genießt wie die Mehrheitssprache, in denen sich die Mehrheit um die Minderheit kümmert. Wir wissen, dass dies in den meisten unserer Länder noch utopisch ist, aber wir dürfen den Kampf nicht aufgeben", sagte der FUEN-Präsident.
Gitte Hougaard-Werner, Vorsitzende des Minderheitenrats, begrüßte die Teilnehmer im Namen der Institution und der vier von ihr vertretenen autochthonen Minderheiten in Deutschland – der Dänen, der Sorben, der Friesen und der deutschen Sinti und Roma. Ihr zufolge befinden sich die Minderheiten in Deutschland in einer guten Situation, insbesondere in Anbetracht der aktuellen Lage in Europa. Sie verwies auf die Kritik der vier Minderheiten an den Angriffen Russlands und der Instrumentalisierung der russischen Minderheit in der Ukraine. „Wir alle wissen, wofür die Minderheiten kämpfen müssen, und es ist gut, dass wir diesen Kongress hier haben und ein starkes Zeichen setzen können.“
Die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, wies in ihrer Videobotschaft darauf hin, dass die FUEN seit Jahren ein wichtiger Partner des Europäischen Parlaments ist, und lobte die Arbeit des FUEN-Vorsitzenden Loránt Vincze. „Sie helfen uns allen, die Bedeutung des Schutzes von Minderheitenkulturen und -sprachen auf der europäischen Agenda weiter nach oben zu bringen", sagte sie und erinnerte daran, dass die Minority SafePack Initiative, die mehr als 1,1 Millionen Unterschriften sammeln konnte, ein durchschlagender Erfolg war und auch die Unterstützung des Europäischen Parlaments erhielt.
Johannes Callsen, Minderheitenbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein, überbrachte die Grüße von Ministerpräsident Daniel Günther und sagte, dass wir uns in Europa in unruhigen Zeiten befinden, in denen gemeinsames Verständnis und gemeinsame Werte sehr wichtig sind. Er unterstrich die kontinuierliche Unterstützung Schleswig-Holsteins für die FUEN, die ihren Hauptsitz Flensburg in diesem Bundesland hat, ihre Unterstützung für die Minority SafePack Initiative, aber auch über das Minderheiten-Kompetenz-Netzwerk, in dem die FUEN ein wichtiger Partner ist.
„Minderheitenpolitik ist Friedenspolitik – davon bin ich überzeugt“, betonte schließlich Natalie Pawlik, die seit April dieses Jahres Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten ist. Sie ist selbst Nachfahrin von sogenannten Wolgadeutschen und 1999 aus Sibirien nach Deutschland gekommen. „Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass gute Minderheitenpolitik zu gesellschaftlichem Reichtum führt“, betonte sie und lobte den Einsatz der FUEN in Europa und insbesondere die Minority SafePack Initiative als wichtiges Signal. „Ich möchte alles dafür tun, dass diese Initiative zum Erfolg kommt – Sie haben mich für ihre Anliegen an Ihrer Seite.“
Nach den Eröffnungsreden ging es direkt um die konkrete Minderheitenpolitik in Deutschland: Bei den „BundesTalks“ gaben Mitglieder des Deutschen Bundestages Einblicke in ihre Arbeit. Welches sind Ihrer Ansicht nach die größten Baustellen in Deutschland? Das wollte Moderatorin Gitte Hougaard-Werner, Vorsitzende des Minderheitenrates, von Stefan Seidler wissen. Der SSW-Politiker (Südschleswigscher Wählerverband) und selbst Angehöriger der dänischen Minderheit in Deutschland ist seit einem Jahr fraktionsloses Mitglied des Bundestages und setzt sich dort für Minderheitenrechte ein. „Wir müssen die Rahmenbedingungen in unserer Heimat stärken, junge Menschen in den Regionen halten, indem wir Ausbildungsbedingungen verbessern – auch in Minderheitensprachen“, so seine Antwort. Die projektgebundene, oft temporäre Förderung von Minderheiten zu verstetigen nannte er als weitere Baustelle, an der in Deutschland gearbeitet werden müsse.
„Es braucht Abgeordnete wie uns, die für Minderheiten brennen, damit das bestgelüftetste Geheimnis auch mal gelüftet wird“, sagte Petra Nicolaisen, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU). Da sie aus Schleswig-Holstein stammt, wo Minderheitenschutz sogar in der Landesverfassung geregelt ist, hat sie im Gegensatz zu vielen anderen Bundestagspolitikern ein Gespür für diese Themen und setzte sich auch für die Unterstützung der Minority SafePack Initiative ein.
Auch das Thema der Kürzung des Sprachunterrichts für die deutsche Minderheit in Polen, der seit diesem Jahr Wellen schlägt, kam in dieser Runde zur Sprache – übt doch der polnische Staat damit unmittelbar Druck auf die deutsche Bundesregierung aus mit der Forderung, auch den polnischen Kindern in Deutschland mehr muttersprachlichen Unterricht zu ermöglichen.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Simona Koß erklärte, dass die Klärung der Situation auf deutscher Seite so komplex sei, weil Bildung dort Ländersache sei – aktuell laufe eine Prüfung der Unterrichtssituation der polnischen Schüler*innen. „Wir wollen die deutsche Minderheit in Polen auf jeden Fall unterstützen, um Friedensarbeit zu leisten“, machte sie klar.
„Minderheiten geraten immer stärker in die Defensive und werden leicht zu Sündenböcken“, schilderte Stephan Mayer, Bundestagsabgeordneter für die CSU, seine jüngsten Beobachtungen. „Dass die deutsche Minderheit in Polen in Geiselhaft genommen wird, ist aus meiner Sicht in keiner Weise hinnehmbar. Ihr werden so die Wurzeln ausgerissen“, machte er deutlich und formulierte seine Forderung an die deutsche Regierung, sich noch klarer zu positionieren.
Schließlich hatte Stefan Seidler noch eine weitere Aufforderung parat – an das gesamte Kongresspublikum gerichtet: „Ihr alle seid wichtige Kommunikationsmitarbeiter für die Minderheitenpolitik! Dass diese immer auch Friedenspolitik ist, müssen wir täglich kommunizieren.“
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