Social Media und Digitalisierung als große Chance für kleine Sprachen
08.06.2023In der vergangenen Woche feierte die FUEN eine Premiere: Erstmalig richtete die Minderheiten-Dachorganisation eine Veranstaltung in Katalonien, Spanien aus: Die Jahrestagung der AG Non-Kin-State (Minderheiten ohne Mutterstaat) fand vom 31. Mai bis 03. Juni 2023 in Altafulla, Katalonien, im Nordosten Spaniens statt. Gastgeber war die katalanische Organisation Plataforma per la llengua, welche sich für die Förderung und Verteidigung der katalanischen Sprache und der sprachlichen Rechte der katalanischsprachigen Gemeinschaften einsetzt.
Der FUEN-Vizepräsident sowie Sprecher der AG Non-Kin-State Bahne Bahnsen sowie Plataforma-Präsident Òscar Escuder i de la Torre begrüßten die 18 Teilnehmer*innen aus insgesamt zehn Ländern und 14 Minderheiten herzlich in der ganz besonderen Region im Norden Spaniens, die ihren Status als „historische autonome Gemeinschaft“ – wie auch das Baskenland und Galizien – hochhält. „Leider wird sprachliche Vielfalt in Spanien als Problem, nicht als Reichtum angesehen. Das spiegelt auch die Verfassung wieder“, sagte Òscar Escuder i de la Torre.
Im Bild v. li.: Àngel Xifré Arroyo, Bahne Bahnsen, Montse Castellarnau Vicente, Òscar Escuder i de la Torre, Mireia Plana.
„Es ist meine große Hoffnung, dass Katalanisch eine offizielle Sprache wird wie jede andere Sprache auch“, betonte Montse Castellarnau Vicente, Bürgermeisterin von Altafulla, bei ihrer Eröffnungsrede. Es ist dieses unermüdliche Streben nach offizieller Anerkennung, der Verwendung der Sprache vor Gericht, im Krankenhaus, bei Behördengängen und das Auseinanderklaffen von Theorie bzw. offiziellen Regelungen und der gelebten Praxis, welche sich wie ein roter Faden durch die Arbeitssitzungen der Tagung, aber eben auch durch den Alltag vieler Non-Kin-State-Minderheiten zieht.
„Wir in Katalonien haben uns seit den Anfängen des Internets für unsere Sprachrechte in der digitalen Welt eingesetzt“, betonte Àngel Xifré Arroyo, Delegierter der katalanischen Regierung in Tarragona. So habe beispielsweise das Arbeitsministerium IT-Lösungen auf Katalanisch unterstützt, damit Unternehmen, die Apps entwickeln, dies auf Katalanisch tun können.
Denn was Katalanisch von den meisten anderen regionalen Sprachen unterscheidet: So klein ist die Sprache gar nicht. „Es gibt mehr Menschen, die Katalanisch sprechen als etwa Finnisch oder Estnisch“, so Mireia Plana, Mitglied der Katalanischen Hochschule für öffentliche Verwaltung und Vizepräsidentin der Plataforma per la Llengua. Jedoch würden die offiziellen sprachlichen Rechte in keinem Verhältnis dazu stehen – auch aufgrund eines Mangels an klaren Kriterien in der EU-Sprachenpolitik.
Minderheitensprachkenntnisse bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst lautete das große Thema des ersten Konferenztages. Die Beamtin Meritxell Llorente, die sich für die Vermittlung von Katalanisch-Kenntnissen an öffentliche Angestellte einsetzt, beleuchtete den Status quo, der vielerorts zu wünschen übrig lasse. Ihrer Ansicht nach habe es keine demokratische Qualität, „wenn bei Gerichten, Finanzämtern, beim Zoll und im Gesundheitswesen kaum Katalanisch gesprochen wird“.
An dieser Stelle gaben auch ein Vertreter der Basken, Paul Bilbao Sarria, sowie die Asturierin Alma Hidalgo Einblicke in ihre sprachliche Praxis. Besonders eindrücklich schilderte Alma Hidalgo, die als Moderatorin arbeitet und einen eigenen YouTube-Kanal auf Asturisch betreibt, die Situation der direkten Diskriminierung, aber erfreulicherweise auch einen Zuwachs an jungen Sprecher*innen durch Maßnahmen wie Sprachplanung in Grundschulen und digitale Kanäle. „Wir brauchen Sprecher, aber diese Sprecher brauchen auch Räume und Werkzeuge“, brachte es Paul Bilbao Sarria auf den Punkt.
Ein bekanntes Gesicht in asturischen Medien: Alma Hidalgo (links).
Ein weiteres Beispiel für Möglichkeiten der Sprachbelebung durch digitale Kanäle stellte Carlos Vieito, Mitglied des Vorstands von „A Mesa pola Normalización Lingüística" aus Galizien, vor: Youtubeiras, ein galizischer Youtube-Kanal von und für junge Menschen.
Eine Fahrt ins nahegelegene Tarragona mit einem Besuch bei der Roma-Gemeinschaft rundete das Programm des ersten Tages ab.
Die Arbeitssitzungen an Tag 2 standen ganz im Zeichen der Präsenz von Minderheitensprachen in den neuen Technologien. Was schaffen Instagram, Streamingdienste & Co. für neue Möglichkeiten? Dazu gab Alex Hinojo, Experte für Minderheitensprachen in neuen Technologien und Mitglied des Institut Ramon Llull (Öffentliches Institut zur Förderung der katalanischen Sprache außerhalb des katalanischen Sprachraums) interessante Einblicke. „Neue Medien sind eine Chance für Minderheitensprachen. Dank der Technologie sind die Kosten, um die Sprache zu verbreiten, kleiner geworden.“ Gleichzeitig appellierte er an die Gesellschaft, aktiv zu werden, Initiativen zu unterstützen, Suchanfragen in Minderheitensprachen zu stellen oder Wikipedia-Inhalte in diesen zu generieren. „Wir müssen diese Sprachen verwenden und die Technologien damit füttern.“
Paul Bilbao Sarria stellte Chancen für Minderheitensprachen in neuen Medien vor.
Doch es gibt da ein Problem: die sogenannte „digitale Minorisierung“, wie die Teilnehmer*innen von den Referentinnen Marina Massaguer und Montserrat Sendra, Forscherinnen im Bereich Soziolinguistik, erfuhren: Wenig Inhalte führten zu eingeschränkter Sprachverbreitung und folglich keinen neuen Inhalten, da die Nachfrage zu gering sei – ein Teufelskreis. So werde im Fall von Katalonien häufig Spanisch verwendet, um ein größeres Publikum zu erreichen. „Der Sprachkampf ist bei vielen Influencern und Konsumenten nur zweitrangig.“
Nach den obligatorischen Länderberichten der Konferenzteilnehmer*innen sowie einer Planungssitzung zu zukünftigen Projekten schloss das Jahrestreffen mit kulturellen Einblicken: Eine Stadtführung durch Altafulla sowie der Besuch einer Trainingsgruppe der traditionellen „Castells“ (Menschentürme) stand auf dem Programm.
„Wir hatten ein inhaltlich starkes und fruchtbares Jahrestreffen, das unserer Arbeitsgemeinschaft viele Anregungen für die Arbeit in den Minderheitengemeinschaften vor Ort geliefert hat“, so das Resümee von AG Non-Kin-State-Sprecher Bahne Bahnsen. „Mit Vertretern der Aromunen aus Bulgarien, Albanien und Rumänien, der Ladiner aus Italien, der Pomaken aus Bulgarien, der Sorben und Friesen aus Deutschland, der Mescheten aus Russland und der Roma aus Nordmazedonien hatten wir ein vielfältiges Teilnehmer*innenfeld mit erfreulich vielen jungen Gesichtern.“
Das Jahrestreffen der FUEN-Arbeitsgemeinschaft Non-Kin-State konnte durch die Förderung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht werden.
Ein herzlicher Dank für die gute Zusammenarbeit geht an die FUEN-Mitgliedsorganisation Plataforma per la llengua.
Eine Bildergalerie zum Jahrestreffen finden Sie hier.
Fotos: Enric Virgili
Hintergrund: Die Arbeitsgemeinschaft Non-Kin-State in der FUEN
Die Non-Kin-State-Arbeitsgemeinschaft wurde 2017 von der FUEN ins Leben gerufen, um Minderheiten ohne Mutterstaat die Möglichkeit zu geben, ihre spezifischen Anliegen und Herausforderungen zu diskutieren, Lösungen zu finden und gemeinsame Strategien für den Erhalt ihrer kleinen Sprachen und Kulturen zu entwickeln. Aktuell gehören ihr 29 Organisationen aus 15 verschiedenen Ländern an.
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