Minderheiten auf dem Westbalkan: Die Präsenz der FUEN ist willkommen und notwendig
05.06.2023Wie gut ist der Rahmen der Minderheitenrechte in den Ländern des Westbalkans und wie gut können Minderheiten diese Rechte nutzen, um ihre Identität, Kultur und Sprache zu bewahren? Die FUEN-Konferenz "Minderheiten auf dem Westbalkan" wollte Antworten auf diese Fragen geben und konzentrierte sich dabei auf die Bereiche institutionelle Modelle, Bildung, politische Partizipation und die Diskussion über Diskriminierung. "Es ist leicht, in Daruvar ein Tscheche zu sein, aber es ist viel schwieriger in Zagreb oder Osijek", wie einer der Teilnehmer sagte.
Zum Abschluss der Konferenz „Minderheiten auf dem Westbalkan“, die vom 2. bis 4. Juni 2023 in Osijek/Essegg/Eszék, Kroatien, von der Föderalistischen Union Europäischer Nationalitäten (FUEN) in Zusammenarbeit mit der Demokratischen Union der Ungarn Kroatiens, der Deutschen Gesellschaft – Organisation der Donauschwaben in Kroatien und dem Koordinationsrat und den Vertretern der tschechischen nationalen Minderheit organisiert wurde, verabschiedeten die Teilnehmer*innen ein Memorandum, in dem sie Folgendes festhalten:
- „Das Zusammenleben auf der Grundlage gegenseitigen Respekts, die Annäherung von Mehrheit und Minderheit, die Wertschätzung und der Schutz der sprachlichen und kulturellen Vielfalt der autochthonen Minderheiten erfordern weitere Anstrengungen. Bei diesen Bemühungen zählen die Mitgliedsorganisationen auf die Unterstützung und Vermittlungsrolle der FUEN.
- Die Teilnehmer*innen der Konferenz über die Minderheiten auf dem Westbalkan haben deutlich gemacht, dass die Präsenz der FUEN als Dachorganisation der Minderheiten in diesem Teil Europas verstärkt werden muss.
- Der Beitritt der Länder der Region zur EU ist ein wichtiges Ziel für alle Minderheitengemeinschaften; die Konferenzteilnehmer sind zuversichtlich, dass die rechtlichen Garantien für den Schutz von Minderheiten in den Beitrittsverhandlungen gestärkt werden.
- Die Bekämpfung von Hassrede ist für die FUEN-Mitgliedsorganisationen auf dem Westbalkan ein Ziel, das in den kommenden Jahren mit allen möglichen Mitteln vorrangig verfolgt werden sollte.
- Die Teilnehmer*innen fordern echte Lösungen für die Situation der Roma-Minderheiten und dass die FUEN weiterhin die Interessen dieser Gemeinschaften auf EU-Ebene vertritt. Antiziganismus, Diskriminierung und Marginalisierung der Roma-Gemeinschaften müssen in den Ländern des westlichen Balkans aktiv bekämpft und beseitigt werden, im Einklang mit der aktiven Politik und den Maßnahmen der Europäischen Union.
- Der muttersprachliche Unterricht ist in vielen EU-Ländern gelöst, bedarf aber in diesem Teil Europas noch größerer Aufmerksamkeit. Die FUEN wird aufgefordert, ihr Know-how zu nutzen, um die Entwicklung öffentlicher bildungspolitischer Strategien voranzutreiben, die das Überleben der Minderheitengemeinschaften in der Region gewährleisten können.
- Die Überalterung betrifft nicht nur die Mehrheitsgesellschaften, sondern auch autochthone Minderheiten in ganz Europa, so dass politische Instrumente gefunden werden sollten, um das System der Vertretung von Minderheiten zu verbessern.
Zuvor wurden verschiedene Aspekte des Minderheitenlebens in Podiumsdiskussionen auf der Konferenz lebhaft diskutiert.
Das erste Panel war ein Erfahrungsaustausch über die verschiedenen institutionellen Modelle der FUEN-Mitgliedsorganisationen in Kroatien. In dem Land gibt es 22 anerkannte Minderheiten, und obwohl die kroatische Minderheitenpolitik vorbildlich ist - Minderheiten werden in der Präambel der Verfassung erwähnt und erhalten im Rahmen ihrer kulturellen Autonomie eine breite Palette von Rechten -, mangelt es oft an der Umsetzung. Der Aufbau und die Aufrechterhaltung eigener Institutionen können eine Herausforderung darstellen - insbesondere in den Regionen, in denen die Minderheiten verstreut leben. Neben der Unterstützung durch Kroatien ist auch die Unterstützung durch die Mutterstaaten ein wichtiger Faktor für den Aufbau von Institutionen. Folgende Herausforderungen wurden beispielhaft genannt:
- Ein Vertreter der tschechischen Gemeinschaft beklagte die geografische Streuung und das Fehlen einer Jugendorganisation
- die deutsche Gemeinschaft sieht sich mit einem Generationsunterschied konfrontiert
- die Serben müssen die Angst überwinden, in Kroatien Serben zu sein
- der Leiter der ungarischen Gemeinschaft sagte, die größte Angst sei, dass die staatliche Unterstützung eines Tages eingestellt werden könnte und dann kein Sicherheitsnetz in Form von internationalen Garantien für ein Minimum an Rechten existieren würde. „Die Gewissheit unserer Rechte wäre die größte Errungenschaft“, so seine Worte.
Auf dem Weg zu nachhaltigen Minderheiteninstitutionen
Teilnehmer (von links nach rechts): Moderatorin Zora Popova (FUEN); Róbert Jankovics, Präsident der Demokratischen Allianz der Ungarn in Kroatien; Vladimir Ham, Präsident der Deutschen Gesellschaft in Kroatien, ehemaliger FUEN-Vizepräsident; Milorad Pupovac, Parlamentsabgeordneter in Kroatien, Präsident des Serbischen Nationalrats in Kroatien; Damir Malina, Präsident des Koordinationsrats und Vertreter der tschechischen nationalen Minderheit in Kroatien
Das zweite Panel befasste sich mit dem Thema Bildung, wobei zunächst das kroatische System der Minderheitenbildung vorgestellt wurde. Es besteht aus drei Modellen (A, B, C) ab der Grundschule, wobei in Modell A der gesamte Lehrplan in der Muttersprache unterrichtet wird und in Modell C zwei bis fünf Stunden pro Woche in der Minderheitensprache. Es war interessant zu sehen, wie die verschiedenen Minderheiten diese Modelle nutzen, wobei die Ungarn das Modell A über den gesamten Bildungszyklus hinweg am konsequentesten umsetzen und die italienischen Kindergärten und Grundschulen, die auch von vielen kroatischen Kindern besucht werden, sehr beliebt sind. Nordmazedonien, wo mehr als 40 % der Bevölkerung einer Minderheit angehören, verfügt ebenfalls über einen umfassenden Rahmen für Minderheiten, auch wenn es in dieser Hinsicht noch viel zu tun gibt, insbesondere für die Gemeinschaft der Roma. Sie sieht sich mit Unzulänglichkeiten bei der Finanzierung von Schulen, versteckter Diskriminierung, aber auch mit Problemen beim Sprechen und Schreiben der Roma-Sprache konfrontiert, deren Standardisierung im Land erst vor kurzem begonnen hat. Auch die Rolle aktiver lokaler Behörden wurde erwähnt, wie in Kumanovo, Nordmazedonien, einem Best-practice-Beispiel für die Integration der Roma. Das Netzwerk der Verbände lokaler Behörden in Südosteuropa (NALAS), ein langjähriger Partner der FUEN, stellte seine zahlreichen Projekte vor im Bereich der Minderheitenarbeit vor, darunter das Forum für den sozialen Dialog und das Büro des Minderheitenbeauftragten in Bijeljina, Bosnien und Herzegowina, – Projekte, an denen die FUEN aktiv beteiligt war.
Minderheiten im Bildungswesen - zwischen Assimilation und Integration
Teilnehmer (von links nach rechts): Joachim Roth, EU-Beauftragter - NALAS - Netzwerk der Verbände lokaler Behörden Südosteuropas; Boran Ivanovski, Programmbeauftragter - NALAS - Netzwerk der Verbände lokaler Behörden; Ahmet Jasharevski, Vorsitzender Roma Community Center "DROM"; Nándor Csapó, Direktor der Direktion für nationale Minderheiten, Bildungsministerium - Kroatien; Moderatorin Zora Popova (FUEN)
Ein Panel über die politische Beteiligung von Minderheiten bot einen Überblick über die Vertretung von Minderheitengruppen auf staatlicher und lokaler Ebene in Kroatien (wo acht Vertreter von Minderheiten in einer separaten Wahleinheit gewählt werden und außerdem Sitze für stellvertretende Kreisvorsitzende reserviert sind) und im Kosovo (wo von den 120 Sitzen in der Versammlung zehn auf Serben und zehn auf andere Minderheiten entfallen. Dabei kam aber auch ein spannender Aspekt zur Sprache, als es um die Rolle der Frauen in der Politik ging. Es wurden auch Herausforderungen angesprochen, wie z. B. die Tatsache, dass Minderheiten sich der Bedeutung von Kommunalwahlen nicht bewusst sind und die Möglichkeit verpassen, am Entscheidungsprozess beteiligt zu werden; die Probleme, die sich daraus ergeben, dass Minderheitenrechte an statistische Zahlen und Volkszählungen geknüpft sind; die Entscheidung der serbischen Minderheit im Kosovo, die Wahlen zu boykottieren sowie die Folgen des Verlusts ihrer politischen Vertretung auf lokaler Ebene.
Politische Partizipation von Minderheiten auf dem Westbalkan
Teilnehmer (von links nach rechts): Moderator László Bodor (FUEN); Tanja Novotni Golubić, stellvertretende Kreisvorsitzende des Kreises Bjelovar-Bilogora für die tschechische nationale Minderheit; Vladimir Bilek, Abgeordneter, Klub für nationale Minderheiten des kroatischen Parlaments, Mitglied des Ausschusses für Menschenrechte und nationale Minderheitenrechte; Adrian Zeqiri, Geschäftsführer, Europäisches Zentrum für Minderheitenfragen Kosovo
Roma sind Europäer, aber sie werden nicht als solche behandelt – so lautete eine der Schlussfolgerungen des letzten Panels. Obwohl das Phänomen des Antiziganismus nicht neu ist, gibt es immer noch keine ausgereiften Instrumente, um die Probleme und Schäden, die es den Menschen und ihrem Alltag zufügt, zu bekämpfen. Strategien gebe es viele, aber es mangele an der Umsetzung, und Dokumente reichten nicht aus, wenn Handlungen erforderlich seien. Die Teilnehmer*innen der Podiumsdiskussion waren sich einig, dass ein großes Defizit bei den Bemühungen zur Bekämpfung des Antiziganismus darin bestehe, dass es an Strategien und Maßnahmen fehle, die sich an die normale Bevölkerung richten.
Antiziganismus, Nationalismus, Diskriminierung, Hassreden - wie kann man dagegen vorgehen?
Teilnehmer (von links nach rechts): Moderator Matic Germovsek (FUEN); Aleksa Đokić, Leiter des Dienstes für die Rechte nationaler Minderheiten im Amt für Menschenrechte und Rechte nationaler Minderheiten; Tatjana Vlašić, stellvertretende Ombudsfrau für Menschenrechte; Dragan Joković, Vorsitzender von Otaharin - Zentrum für die integrative Eingliederung von Roma-Männern und -Frauen.
Die Konferenz endete mit einer Stadtführung durch Osijek/Essegg/Eszék.
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