
Mit Dialekt über die Grenze: Julien Steinhauser über Jobs, Identität und Zweisprachigkeit im Elsass
03.06.2025Julien Steinhauser ist Journalist bei der Regionalzeitung Dernières Nouvelles d'Alsace und verantwortlicher Redakteur des zweisprachigen Magazins Rheinblick, das sich wöchentlich mit grenzüberschreitenden Themen im deutsch-französischen Raum beschäftigt. Gemeinsam mit seinem Team berichtet er über wirtschaftliche, kulturelle und politische Entwicklungen entlang der Grenze – ein Thema, das im Elsass auf großes Interesse stößt. In diesem Interview spricht Steinhauser, der auch als Redner beim bevorstehenden 9. Forum der Europäischen Minderheitenregionen (27.–28. Juni 2025 in Novi Sad/Újvidék, Serbien) auftreten wird, über die Rolle von Sprache und Identität im Elsass – und darüber, warum Zweisprachigkeit ein klarer wirtschaftlicher Vorteil für Grenzregionen ist.
Herr Steinhauser, wie erleben Sie als Journalist die Dynamik von Grenzregionen wie dem Elsass und Baden-Württemberg im Hinblick auf Sprache, Identität und ihren wirtschaftlichen Mehrwert?
Das Elsass war schon immer eine reiche Region, die zweitreichste Frankreichs, was zum großen Teil auf seine Wirtschaft zurückzuführen ist, die zum Teil von der Wirtschaft Baden-Württembergs, aber auch der Schweiz beeinflusst wird. Die elsässische Identität, die im Wesentlichen rheinisch geprägt ist, litt lange Zeit unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges. Aber der wirtschaftliche Vorteil, der auch durch die Zweisprachigkeit entstanden ist, hat es ermöglicht, diese Schwierigkeit zu überwinden.
Welche Rolle spielen regionale Identitäten und Sprachkenntnisse, etwa im Elsässischen oder Deutschen, für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit auf dem Arbeitsmarkt?
Sprachkenntnisse sind ein wesentlicher Vorteil für Grenzgänger, insbesondere im Süden des Elsass. Mehr als 45.000 Menschen arbeiten täglich in Basel und Umgebung. Während Deutsch und Englisch für qualifizierte Stellen unerlässlich sind, reicht für einfache Tätigkeiten oft die Beherrschung des elsässischen Dialekts aus. In den letzten Jahren haben mehrere Studien der französischen Arbeitsagenturen gezeigt, dass der Rückgang der Beherrschung des Elsässischen mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit einhergeht, weil die Menschen die Sprache nicht mehr beherrschen, um die Grenze zu überqueren.
In Ihrer Arbeit begegnen Ihnen sicher viele Geschichten aus dem Alltag: Gibt es Beispiele, in denen kulturelle oder sprachliche Nähe ganz konkret wirtschaftliche Kooperation erleichtert hat?
Ein konkretes Beispiel: Die Bürgermeister der drei Großstädte Mulhouse, Basel und Freiburg im Breisgau trafen sich im Januar 2025, um über die Organisation des Eurovision Song Contest zu diskutieren. Basel war nicht in der Lage, das gesamte Publikum aufzunehmen. Die Hotels der Stadt Mulhouse konnten daher einen Teil des Publikums beherbergen, da beide Städte weniger als eine halbe Stunde mit dem Zug voneinander entfernt sind.
Wie sichtbar ist aus Ihrer Sicht der Beitrag von Minderheiten in öffentlichen Debatten, wenn es um wirtschaftliche Entwicklung, Investitionen oder Standortpolitik geht?
Das Elsass ist sich vielleicht nicht unbedingt bewusst, dass es eine kulturelle und/oder sprachliche Minderheit ist. Die elsässische Wirtschaft ist stark mit der Schweizer und der deutschen Wirtschaft verwebt. Die deutschen Handelskammern werden regelmäßig um Rat gefragt. Mehrmals im Jahr werden grenzüberschreitende Jobmessen organisiert.
Was müsste sich ändern, damit das Potenzial von Grenzregionen mit sprachlich-kultureller Vielfalt besser genutzt wird – auch politisch und wirtschaftlich?
Die Priorität im Elsass ist es, den Deutschunterricht zu fördern. Die Regionalsprache wird nur noch von drei Prozent der Kinder gesprochen. Wenn die Sprache nicht gerettet wird, wird es nicht möglich sein, ein hohes Niveau an grenzüberschreitender Beschäftigung aufrechtzuerhalten, und das Elsass wird verarmen.
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